Man stelle sich folgende Situation im Sozialamt vor: „Guten Tag, ich möchte Sex mit meinem Partner haben. Ich bin heterosexuell, wir sind beide zeugungsfähig und möchten zur Zeit keine Kinder. Ich pflege einen Glauben, der mir Empfängnisverhütung nicht verbietet. Da ich die Pille nicht vertrage möchte ich bitte Kondome haben. So etwa 20 pro Monat reichen“. All das sind Dinge, die sie nie mit einer Person ausser ihrem Partner besprechen würden? HartzIV-Empfängern bleibt kaum anderes übrig.
Aktuell fordern die Grünen in München „dem Beispiel Flensburgs zu folgen“ und Kosten „für Verhütungsmittel für Menschen in prekären finanziellen Verhältnissen“ zu übernehmen *.
Grundsätzlich ist es ja löblich, die Unterstützungen für HartzIV der Lebensrealität der Bezügeempfänger anpassen zu wollen. Die Grünen gehen aber mit ihrem Antrag an den Stadtrat genau den Weg, der einen der größten Mängel des HartzIV-Systems ausmacht: Sie behandeln Sonderfälle. Wer ein „Extra“ möchte muss Anträge stellen und um alles bitten. Dass Menschen gewisse Themen unangenehm sind wird dabei übergangen, das Recht auf Privatsphäre wird ihnen vollkommen aberkannt.
Was die Grünen als Rückkehr der sexuellen Selbstbestimmung anpreisen ist eher ein Selbstbestimmungsplacebo. Seit der Streichung von Empfängnisverhütungsmitteln aus dem Regelsatz hat die Zahl an ungewollten Schwangerschaften zugenommen. Und nun wird erwartet, dass sich HartzIV-Empfängerinnen bei Bedarf nach Beischlaf erst mal vor einem Sachbearbeiter geistig entblößen? Als wäre es nicht erniedrigend genug, überhaupt auf HartzIV angewiesen zu sein.
Den HartzIV-Empfänger, der seine Situation ändern möchte und selbst Verantwortung übernimmt, kennt der deutsche Sozialstaat nicht. Für alles gibt es im Regelsatz Vorgaben: Was darf eine Wohnung maximal kosten? Wie viel Geld darf im Monat für Bier und Zigaretten übrig bleiben? Verzichten, und in eine WG ziehen, um mehr Geld für ein Hobby übrig zu haben? Mit HartzIV unmöglich, da nach „Bedarfsgemeinschaften“ gerechnet wird, in denen eher „alternative“ Lebensmodelle nicht vorgesehen sind. Der HartzIV-Regelsatz wird für einen Durchschnitt errechnet, eine gesellschaftliche Norm, die heute längst nicht mehr existiert.
HartzIV-Empfängern Geld konkret für die Antibabypille zur Verfügung zu stellen ist auf dem selben Niveau wie der Vorschlag der CDU, HartzIV-Eltern Bildungsgutscheine für die Ausbildung ihrer Kinder zu geben, weil diese sich sonst vom Erziehungsgeld Zigaretten kaufen. Diese Bevormundung muss endlich aufhören!
Wir Piraten fordern die Abschaffung des menschenunwürdigen HartzIV und die Einführung eines „bedingungslosen“ Grundeinkommens. Wenn der Staat seinen Bürgern helfen soll, Krisen zu überwinden, darf er ihnen dabei nicht das Recht nehmen, selbstständig und individuell zu entscheiden. Keine Anträge auf HartzIV mehr bearbeiten zu müssen bedeutet für die Ämter auch die Abschaffung der bürokratisch aufwendigen Behandlung von „Sonderfällen“, die heute immer mehr die Regel ausmachen. Freies, eigenverantwortliches Entscheiden und Privatsphäre sind ein wichtiger Bestandteil der Menschenwürde, und diese sollten die Regierenden auch Bedürftigen zugestehen!
* RIS München, Sitzungsvorlage 08-14 / A 03768 vom 31.10.2012 http://www.ris-muenchen.de/RII2/RII/DOK/ANTRAG/2810053.pdf , aufgerufen am 14.05.2013
Ein Kommentar von Michèle, Piratin aus München